Tanja Kemmer

Zu den Campus-Arbeiten von Sabine Wenig
Halle, Remise, 6.10.02


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Ein weiteres Thema der Künstlerin ist die Landschaft – und damit meine ich nicht unbedingt die abbildhafte Darstellung landschaftlicher Formen, sondern vielmehr die malerische Umsetzung von naturhaften Eindrücken, die den Einflüssen des malerischen Prozesses unterworfen sind. In der Regel handelt es sich um abstrahierte Form- und Farbkompositionen auf zumeist kleinem Format, denen Sabine Wenig den Titel "Campus" gegeben hat, den sie in seinem lateinischen Ursprung wahlweise und offen als freies Feld, als Ebene, Ackerland oder als Meeresfläche interpretiert.


Die Farben dieser malerischen Serie scheinen zumeist durchaus dem "natürlichen" Repertoire entnommen, häufig prägen sich auch topographische Formationen aus, die an Felsen, Wiesen, Wasserflächen oder an den Himmel erinnern, so dass der Blickwinkel so erscheint, als befinde man sich in einer Landschaft und lasse den Blick in die Ferne schweifen.


Dann aber verändert sich die Perspektive, scheint sich umzukehren, das Unten wird plötzlich zum Oben, das, was als Himmel gedeutet werden konnte, ist nun Teil des unteren Bildbereiches. Der, nennen wir es mal Perspektivwechsel, beruht auf der visuellen Erfahrung und Wahrnehmung der Künstlerin aus dem Flugzeug heraus: Betrachtet man aus dem Flugzeug, z. B. beim Abflug, die Landschaft, so verändert sich diese mit zunehmender Distanz, die einzelnen Bestandteile werden kleiner und Details verlieren sich. Vor allem aber führt die Drehung des Flugzeuges, das sich auf die Flugroute einstellt, dazu, dass der Himmel plötzlich nach unten zu kippen scheint, sich die eindeutige Ausrichtung – oben Himmel und unten Erde – verändert, gar umkehrt. Je größer die Distanz zur Landschaft darunter, je mehr verliert sie ihre konkrete Gegenständlichkeit, löst sich mehr und mehr auf in farbige Strukturen, geometrische Flächen, die sich zu einem veränderlichen und bewegten Gesamteindruck oder -bild fügen – Landeanflug läuft dieser Prozess natürlich genau anders herum.

 

Offensichtlich also verändert sich nicht das Objekt der Betrachtung, die Landschaft, sondern die eigene Perspektive und Wahrnehmung dazu. Genau das ist Thema der Arbeiten Sabine Wenigs, die sich im Grunde rein thematisch gar nicht wesentlich unterscheiden, in besonderem Maße aber in der Art und Weise der künstlerischen Umsetzung.

Mit der Gleichzeitigkeit von Abstraktion und Gegenständlichkeit, mit der Verunklärung der perspektivischen Verhältnisse, dem Wechsel von Nähe und Ferne, von Ruhe und Dynamik, thematisiert und betont Sabine Wenig die Veränderlichkeit mit Sicherheit auch der eigenen Wahrnehmung, die im Grunde ständig oszilliert. Ihre Arbeiten vermitteln visuell den Prozess der bildnerischen Entwicklung, den Versuch, die Vielfältigkeit des Sehens unmittelbar in die Malerei, in die Komposition zu übertragen.

Tanja Kemmer

Kunsthistorikerin M.A.